Ist es möglich finanziell frei zu sein?
Ich war immer fleißig in der Schule, war aber ein armer Schüler und später ein armer Student. Finanzielle Ziele habe ich immer auf später aufgeschoben, da ich der Meinung war, dass ich ab dem Berufseinstieg plötzlich reich werden würde.
Mit einer ordentlichen Ausbildung und einem guten Job verdient man viel Geld und kann sich viele Dinge leisten, die man sich vorher nicht leisten konnte, so dachte ich.
Doch später, mitten im Studium, habe ich mich ein wenig mit den Gehältern in Deutschland auseinandergesetzt. Ein Maschinenbauingenieur könne im Durchschnitt 44.000€ bis 48.000€ Jahresbrutto als Einstiegsgehalt erwarten, in Abhängigkeit von Bundesland, Branche, Firmengröße und Qualifikation/Erfahrung.
Das sind nach Abzügen ca. 2370€ Netto im Monat. Nehmen wir eine 40h-Woche an, dann ist das ein Stundenlohn von gerade einmal 14€, also 5€ über dem gesetzlichen Mindestlohn.
In den Zeiten, in denen ich als Student ohne jegliche Qualifikation gekellnert habe, gab es bei den guten Jobs bis zu 12€ pro Stunde. Dadurch, dass es nur ein Nebenjob war, kann man diesen Stundenlohn als Netto betrachten. Und nach 5 Jahren Studium verdient man Netto nur 2€ mehr?
2370€ monatliches Nettogehalt mag ja über dem Durchschnitt liegen und viele würden sagen, das ist ein super Gehalt. Doch seien wir ehrlich: Wir Angestellten sitzen alle im selben Boot.
Mir wurde klar, dass ich nach dem Berufseinstieg nicht erwarten konnte, plötzlich reich zu sein. Als ich angefangen habe zu arbeiten, brauchte ich ein Auto und musste umziehen. Das sind Kosten, die man in den ersten Monaten erstmal wieder reinholen muss.
Ist der Traum von der finanziellen Freiheit also nur eine Illusion gewesen? Das dachte ich am Anfang, als ich diese Berechnungen gemacht hatte. Aber nur, weil ich anfangs meine Ziele und die finanzielle Freiheit falsch definiert hatte.
Ziele setzen und finanziell frei werden!
Ich habe meine finanzielle Freiheit mit einem hohen Gehalt gleichgesetzt und habe mein Zeithorizont zu kurz gewählt. Ich war der Meinung, ich wäre finanziell frei, wenn ich ca. 4000€ Netto im Monat verdienen würde.
Doch was würde sich für mich ändern, wenn ich dieses hohe Gehalt bekommen würde und mir all die Dinge leisten könnte, die ich mir früher nicht leisten konnte? Vorausgesetzt meine Kosten würden mit dem Gehalt im Gleichschritt ansteigen, würde sich für mich nichts ändern, außer dass ich ganz viele teure Dinge besitzen würde, die mich nicht glücklicher machen.
Ich würde weiterhin für das Geld arbeiten gehen müssen und jeden Monat auf den Gehaltseingang auf meinem Konto warten müssen.
Irgendwann habe ich das Ziel neu definiert: Die finanzielle Freiheit habe ich nicht mehr abhängig gemacht von der Höhe des Gehaltes, sondern von der Höhe des Vermögens. Ich bin mit Themen in Berührung gekommen wie Geldanlage, Passives Einkommen und Zinseszins.
Plötzlich hat alles einen Sinn gemacht: Je mehr Vermögen ich habe, desto mehr Geld arbeitet für mich und desto weniger muss ich für das Geld arbeiten.
Auch wenn ich weniger Gehalt bekomme, als ich anfangs gedacht hatte, könnte ich trotzdem nach und nach Vermögen aufbauen, das mir einen Geldstrom generiert, sodass ich weniger von der Arbeit abhängig bin. Dann bin ich tatsächlich finanziell frei!
Finanzielle Freiheit bedeutet, dass ich Entscheidungen treffen kann ohne mich unter Druck setzen zu müssen.
Im gleichen Zug habe ich meinen Zeithorizont weiter ausgedehnt. Ich muss nicht sofort reich sein. Ich kann es nach und nach werden. Und das ist möglich, auch mit einem etwas niedrigeren Gehalt.
Ich habe mir als Ziel gesetzt in 15 Jahren finanziell frei zu sein. Ich betrachte mich als finanziell frei, wenn ich ein Vermögen angespart habe, das mir 600€ im Monat an passivem Einkommen generiert. An der Summe erkennt man, dass ich nicht ausschließlich vom passiven Einkommen leben könnte, doch das ist erst der Anfang.
Mit 600€ im Monat wäre ich zumindest nicht mehr ausschließlich von meinem Gehalt abhängig. Ich hätte die Wahlfreiheit, einige Monate zu pausieren oder einen schlechter bezahlten Job anzunehmen, wenn dieser mich mehr erfüllt. Im Fall der Arbeitslosigkeit hätte ich genug Zeit, um einen passenden Job zu finden und müsste nicht sofort den erstbesten annehmen. Ich könnte in die Selbstständigkeit gehen und wäre nicht darauf angewiesen sofort hohe Gewinne zu machen. Im Notfall könnte ich auch meine Ausgaben soweit runterfahren, dass ich auch von den 600€ einige Monate leben könnte.
Das bedeutet für mich finanzielle Freiheit. Man könnte es auch als finanzielle Flexibilität bezeichnen.
Wie viel Vermögen brauche ich für die finanzielle Freiheit?
Ich hatte also mein Ziel definiert und musste nur noch ausrechnen wie viel Vermögen ich brauche, um mein Ziel zu erreichen und wie viel ich jeden Monat sparen muss, um dieses Vermögen zu bilden.
Betrachten wir zunächst einmal wie groß der Geldstrom bei einer bestimmten Vermögensgröße ist. Ich bin ein großer Fan von Aktien. Daher gehe ich davon aus, dass das gesamte Vermögen in Aktien und ETFs investiert ist.
Ein Vermögen von 100.000€ generiert bei einer Dividendenrendite von 4% einen Geldstrom von 4.000€ im Jahr. Nach Abzug der Kapitalertragssteuer (plus Solidaritätszuschlag, insgesamt 26,375%) bleiben 2945€ Netto übrig. Wenn man seinen Freibetrag von 801€ nutzt, dann bleiben 3156€ Netto [(4.000-801)*0,73625+801] übrig. Das wären dann 245€ bzw. 263€ im Monat. Sieht so aus als bräuchte ich ein Vermögen, das größer ist als 100.000€.
Man könnte auch davon ausgehen, dass man dann nicht mehr arbeitet. Dann kommt zum Sparerpauschbetrag von 801€ noch der Grundfreibetrag von 9000€ hinzu. Aber so habe ich meine finanzielle Freiheit nicht definiert. Ich möchte ja weiterhin arbeiten und Geld verdienen. Ich will es einfach nicht mehr müssen. Und ich will nicht davon abhängig sein.
Im nächsten Schritt führte ich die Rechnung rückwärts durch. Es sollten 600€ Netto sein, bei einer Dividendenrendite von 4%. Es müssen also 7200€ nach Steuern, dementsprechend 9492€ vor Steuern fließen. Bei einer Dividendenrendite von 4% entspricht das einem Kapital von 237.300€. Ich hatte mehr erwartet.
Ich meine, 237.300€ ist verdammt viel Geld. Aber wenn ich überlege, dass viele Menschen sich ein Eigenheim für 400.000€ – 500.000€ gönnen und ich nur die Hälfte davon brauche, um finanziell frei zu sein, dann erscheint mir die Summe als relativ klein. Außerdem motiviert mich die Erkenntnis, dass ich kein Millionär sein muss, um finanziell frei zu sein.
Wie viel muss ich sparen?
Das Vermögen zu berechnen, welches ich für die finanzielle Freiheit benötige, war schon mal die halbe Miete. Ich musste mir nur noch einen Plan machen, wie ich dieses Vermögen aufbauen könnte.
Dazu habe ich den Sparrechner genutzt und ein wenig mit den Werten rum gespielt. Das Ergebnis war:
Wenn ich eine jährliche Rendite von 5,5% in den nächsten 15 Jahren annehme, was nach Kosten und Inflation in der Vergangenheit realistisch war, dann müsste ich jeden Monat 856€ zur Seite legen. Das ist sportlich.
Wenn ich von einer jährlichen Rendite von 10% ausgehe, was eher ziemlich optimistisch ist, dann würde eine monatliche Sparrate von 590€ schon genügen.
Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen.
Es gehört schon viel Disziplin dazu, wenn man 15 Jahre lang konsequent 856€ monatlich sparen will, aber bei einem Gehalt knapp über 2000€ ist es auf jeden Fall möglich. Viele meiner Leser berichten von Sparquoten von 50% oder gar 70%. Da ich meine Finanzen automatisiert habe und mich jeden Monat „selbst zuerst bezahle“, kann ich das sicher auch erreichen.
Fazit
Die finanzielle Freiheit ist für mich erreichbar geworden, weil ich meine Ziele anders definiert habe als noch am Anfang. Früher habe ich die finanzielle Freiheit mit einem hohen Gehalt gleichgesetzt, welches langfristig nichts an meiner Situation ändert, wenn ich nicht konsequent spare.
In den 15 Jahren, die ich mir als Zeithorizont gesetzt habe, kann noch viel passieren: Sobald eigene Kinder auf die Welt kommen, werden die Kosten ansteigen. Während meines zweiten Studiums, werde ich deutliche Gehalteinbußen in Kauf nehmen müssen. Und sollte ich in den 15 Jahren doch auf die Fast Lane* wechseln, dann könnte sich die Sparrate auch erhöhen und das Ziel schneller erreicht werden.
Das heißt, ich habe mir zwar ein Ziel gesetzt, muss es aber ab und zu an die Veränderungen in meinem Leben anpassen.
Hast Du Dir auch die finanzielle Freiheit als Ziel gesetzt? Dann erzähle doch gerne von Deinen Erfahrungen in den Kommentaren.
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10 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hallo Nico!
Finde es gut, dass Du dir genau überlegt hast, was für dich finanzielle Freiheit bedeutet! Damit bist Du ihr auf jeden Fall schon einen Schritt näher!
Ich hatte mir zu Beginn ebenfalls ausgerechnet, wie viel Kapital ich tatsächlich brauchte. Daraus kam mir die Idee einen Freiheitsrechner zu programmieren, der andere dabei unterstützt, dieselben Kalkulationen durchzuführen 🙂
Du findest ihn unter meiner Seite: http://tipps-zum-investieren.de/tools/freiheitsrechner/
Dort gibt es unter anderem auch einen Dividendenrechner oder einen Zinseszinsrechner, die ebenfalls bei diesen Fragestellungen helfen!
Viele Grüße,
Johannes
Hallo Johannes,
danke für deinen Kommentar! Ich habe deine Rechner ausprobiert und finde sie sehr gelungen! Ich hoffe, dass viele Leute mit den Tools ein wenig rumspielen und so ein Gefühl dafür kriegen, welche Parameter welchen Einfluss auf das Endergebnis (Endkapital oder Einkommensstrom) haben.
Beste Grüße
Nico
Hi Nico,
sehe ich genau wie Du, man braucht ein klares Ziel und eine Vorstellung wo man hin will!
Im Rahmen eines Meetups zum Thema Finanzielle Freiheit in Bonn habe ich neulich meinen XLS-Rechner einmal vorgestellt. Dabei kann man die verschiedenen Herangehensweisen vergleichen – also ohne vs mit Kapitalverzehr, sowie nach der Trinity Study mit 3% oder 4% Safe-Withdrawl Rate.
Im Beitrag dazu habe ich auch nochmal die grundlegenden Annahmen erklärt, die man verstehen sollte, bevor man seine Lebensplanung auf so einer Rechnung aufbaut:
https://thorstenhartmann.de/realitaetscheck-dein-kapitalbedarf-fuer-die-finanzielle-freiheit/
Ein wichtiger Punkt, den viele übersehen und den ich auch bei Dir (und in dem anderen im Kommentar erwähnten Rechner) nicht sehe, ist der Beitrag zur Krankenkasse. Während des Angestelltenlebens wird der hälftig gezahlt, später muss man den voll selbst tragen – und sollte den entsprechend einrechnen…
Viele Grüße
Thorsten
Hallo Thorsten,
ich freue mich über Deinen Kommentar! Ich habe mir Deine Excell-Tabelle angeschaut -> ein hilfreiches Tool für alle, die über das Thema „finanzielle Freiheit“ nachdenken.
Ich finde es toll, dass du nicht nur die zwei Strategien „mit Kapitalverzehr“ und „ohne Kapitalverzehr“ berechnest, sondern auch die Trinity Study erwähnst. Diese betrachtet zusätzlich das Sequence-of-Returns-Risiko, welches gerade in den ersten 5 Jahren der Entnahmephase nicht zu unterschätzen ist.
Bei meiner Überschlagsrechnung habe ich die Krankenkassenbeiträge nicht berücksichtigt, weil ich mir das Ziel gesetzt habe, trotz finanzieller Freiheit noch freiwillig arbeiten gehen zu wollen. Aber du hast natürlich Recht! Wenn man sich zur Ruhe setzen will, muss man alle Abgaben berücksichtigen. Sonst kann sich der Ruhestand schnell mal um mehrere Jahre nach hinten verschieben.
Ich habe in der Berechnung des Kapitalbedarfs auch keine Steuern in der Ansparphase berechnet. Diese Fallen natürlich auch da an. Entweder auf die Dividenden, die man in der Ansparphase kassiert oder spätestens auf die Kursgewinne, wenn man am Ende der Sparphase das Depot auf Dividendenwerte umschichtet. Das muss jeder für sich individuell nachjustieren.
Beste Grüße
Nico
Ein sehr guter Artikel. Ich finde es wichtig, sich ausgiebig Gedanken darüber zu machen, um genau zu wissen, was man erreichen will und wie man den richtigen Weg geht.
Hey, habe diesen etwas älteren Artikel gerade entdeckt. Dir geht es zu 100% wie mir, auch ich möchte finanziell so frei sein, dass ich nicht mehr gezwungen bin unbedingt den best bezahlten Job anzunehmen, sondern einfach tun kann was mich erfüllt. Der Rest soll aus (passivem) Einkommen generiert werden. Habe also vor 6 Jahren angefangen jeden Monat 1000 Euro zur Seite zu legen. Als ich 20000 Euro zusammen hatte habe ich angefangen das Geld an der Börse zu investieren, gleichzeitig weiterhin jeden Monat 1000€ aufs Depot überwiesen. Inzwischen sind 6 Jahre vergangen (2 Jahre reines ansparen, 4 an der Börse), meine Rendite beträgt bisher unglaubliche 30% im Jahr. Mein Depot ist jetzt knapp 150000€ Wert. Ich hatte zwar Glück mit meinen Investitionen, kann aber nur jedem dazu raten einfach anzufangen. Der Rest entwickelt sich dann von allein, nie hätte ich vor 6 Jahren gedacht so weit zu kommen. Und ich habe keinen hoch bezahlten Job sondern arbeite als Koch. Jeder kann es schaffen, man muss nur wollen. Mein Ziel sind 3-500000, habe also noch ein bisschen was vor mir. Hoffe du bist deinem Ziel inzwischen deutlich näher gekommen. Lg
Hey Mr S,
vielen Dank für Deinen sehr motivierenden Kommentar! Ich finde es klasse, wie Du es gemacht hast. Ich habe ja auch vor ca. 6 Jahren angefangen zu investieren. Damals aber noch als Student, also mit begrenztem Kapital. Einfach machen und Erfahrungen sammeln.
Du hast Dein Ziel ja schon zur Hälfte geschafft 😉
Meinem Ziel kam ich die letzten zwei Jahre leider nur langsam näher. Einerseits habe ich mich im Forex Handel ausprobiert und dabei etwas Kapital verloren. Außerdem habe ich während meines zweiten Studiums deutlich weniger Geld verdient. Aber seit April 2020 arbeite ich wieder in Vollzeit und kann wieder jeden Monat ordentlich was zur Seite legen.
Deine Rendite von 30% im Jahr ist beeindruckend. Klar, wenn man eine solche Rendite auf konservative Art am Aktienmarkt verdient, dann gehört auch etwas Glück dazu, aber es zeigt trotzdem, dass du deine Hausaufgaben bei der Auswahl gemacht hast. Hast Du eventuell Lust einen Gastbeitrag auf diesem Blog über Deine Investitionen zu schreiben?
Beste Grüße
Nico
Wo finde ich dieses Rechen-Tool, das hier als Bild gezeigt wird? Danke
nevermind – gerade gesehen:-) danke!
Sehr gut, viel Spaß mit dem Rechen-Tool =)